„Wir brechen auf! Kirche, bist du dabei?“

Betroffenen sexuellen Missbrauchs pilgern nach Rom

In zehn Etappen sind die Teilnehmenden der Radpilgerreise „Wir brechen auf! Kirche, bist du dabei?“ zum Vatikan nach Rom geradelt. Die Betroffene sexuellen Missbrauchs sprachen dort mit Papst Franziskus persönlich. Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel für den Stimmkreis Landsberg/Fürstenfeldbruck-West war ab Assisi mit dabei und schildert ihre Eindrücke, Hintergründe und Perspektiven.

Seit nun fast zwei Jahren beschäftigt mich das Thema „Sexualisierte Gewalt im kirchlichen Umfeld“. Durch eine nicht unerhebliche Zahl an parlamentarischen Initiativen (Dringlichkeitsanträge, Anträge, Schriftliche Anfragen, Anfragen zum Plenum und der Antrag auf eine Expertenanhörung, die am 20.04.2023 im Landtag auf unsere Grüne Initiative stattfand) kreise ich das Thema mit der Frage ein, welche Rolle der Staat bzw. die Staatsregierung bei diesem Thema spielte und zukünftig spielen muss. Denn eins steht fest, Missbrauch ist keine Kirchenangelegenheit und kann auch nicht allein durch das Strafrecht abgedeckt werden. Einen Erfolg habe ich zu verbuchen: Die Staatsregierung wird endlich die lange von uns geforderte Anlaufstelle für Betroffene einrichten. Jetzt gilt es, die verantwortliche Ministerin Scharf danach zu messen, ob diese Stelle auch mit entsprechendem Fachpersonal ausgestattet und nicht nur eine Telefonweiterleitung ist.

Pilger fahren ihr Herz nach Rom

Durch meine Arbeit habe ich Richard Kick kennengelernt, der Sprecher des Betroffenenbeirats München. Mit ihm arbeite ich in diesem Thema sehr eng zusammen. Er war es, der mich bereits im März eingeladen hat, Betroffene bei ihrer Radpilgertour nach Rom als Unterstützerin zu begleiten. Ich habe natürlich zugesagt! Richard Kick, Robert Köhler und Dietmar Achleitner, Betroffene aus dem Erzbistum München/Freising, planten diese außergewöhnlich Pilgerreise. Start war am 06. Mai am Marienplatz in München. Die Pilger hatten auch ein stilisiertes Herz im Gepäck, das sie Papst Franziskus in Rom übergeben wollten. Es steht für ihre Anliegen, für das was ihnen widerfahren ist, für ihren Herzzustand und für ihren Wunsch nach Empathie für ihr erlittenes Leid. Das Herz aus fragilen Streben ist ein Kunstwerk des international bekannten Münchner Künstlers Michael Pendry.

Die Begegnung mit Papst Franziskus

Beim Start in München und dann wieder ab dem 12. Mai habe ich die Gruppe begleitet. Über Assisi und Rieti ging es mit dem Fahrrad nach Rom. Am 16. Mai sind wir dort angekommen und wurden von den Vertreter*innen der Erzdiözese empfangen. Am 17. Mai begegnete die Gruppe bei der allgemeinen Generalaudienz Papst Franziskus persönlich. Die Betroffenen konnten mehrere Minuten mit dem Papst sprechen. Seine Reaktion war empathisch, aber bei der Frage nach dem Umgang mit Priester-Tätern war er sprachlos. Dieses Treffen hat alle, inklusive mich, sehr bewegt. Aber nicht nur das Treffen auf dem Petersplatz, sondern die fünf Tage, die ich bei der Gruppe sein durfte, waren neben dem Radeln emotional sehr intensiv. Manche Betroffene haben zum ersten Mal über ihr erlittenes Leid mit anderen, wie auch mit mir, sprechen können.

Mehr Verantwortung bei Aufarbeitung übernehmen

Auch Pater Zollner haben wir getroffen. Der Jesuitenpater ist Leiter des anthropologischen Instituts der päpstlichen Universität Gregoriana und war lange Zeit Leiter der katholischen Kinderschutzkommission. Dieses Jahr hat er die Kommission verlassen, weil die Prozesse nur schleppend vorangehen. Er ist Sozialwissenschaftler und forscht zum Thema Missbrauch und zu dessen Prävention. Auch Zollner hat klar gesagt, dass „die Politik“ viel mehr Verantwortung in der Aufarbeitung übernehmen muss. Das Treffen mit Pater Zollner und auch diese Pilgerreise geben mir die Gewissheit, dass ich mit meiner hartnäckigen Forderung gegenüber der Staatsregierung richtig liege: seiner Wächterfunktion gegenüber seinen Bürger*innen stärker nachzukommen. Das Strafrecht allein reicht nicht aus und Missbrauch ist keine Angelegenheit der Kirchen allein. Der Staat muss dringend eine eigne unabhängige Aufarbeitungskommission einrichten, die Standards und Rahmen einer gelingenden Aufarbeitung im Sinne der Betroffenen vorgibt. Im Moment verhält es sich so, dass im kirchlichen Bereich jede der 27 Diözesen ihren eignen Weg der Aufarbeitung geht. Ob etwa überhaupt ein Gutachten und von wem es in welcher Qualität erstellt wird, hängt von einzelnen Verantwortlichen ab. Betroffene von sexualisierter Gewalt haben aber überall das Recht, dass es eine gerechte Aufarbeitung gibt. Die Standards sollen nicht nur für Kirchen, sondern für alle Institutionen und gesellschaftliche Bereiche, wie Vereine und Verbände, gültig sein.