Rund um den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und des Außenlagers Kaufering/ Landsberg findet jährlich die Gedenkwoche des Vereins Gedenken in Kaufering statt. An der Eröffnungsveranstaltung vom 29. April im Landratsamt Landsberg habe ich eine Rede gehalten, in der ich für ein konsequentes Wachhalten der Erinnerung an die Gräueltaten der NS-Diktatur plädiere. Die Rede können Sie hier in vollem Umfang nachlesen. Darüber hinaus berichtete die Augsburger Allgemeine Zeitung.
Als ich vor einem halben Jahr in den Landtag gewählt worden bin, musste ich meine inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte festlegen. Als Lehrerin war es selbstverständlich, dass ich in den Bildungsausschuss gehe. Als einen weiteren Arbeitsschwerpunkt wählte ich die Erinnerungskultur. Als politisch denkender Mensch aus Kaufering war es für mich klar, dieses gesellschaftlich immer wichtiger werdende Thema auch im Landtag voranbringen zu wollen.
Als 1960 Geborene sehe ich uns heute mit meiner Generation, der 1., fast 2. Generation nach der Shoa, vor einem neuen Entwicklungsschritt der Erinnerungskultur. In den 70iger Jahren, unserer Jugendzeit – lang nach dem ersten Öffentlich-Machen der nationalsozialistischen Gräueltaten durch die Frankfurter Auschwitzprozesse 1963 – umgaben unsere Fragen nach den 12 Jahren NS-Herrschaft immer noch eine Aura des Abwiegelns und Verschweigens. Dann kam 1979 die amerikanische Serie „Holocaust“. Durch sie erhielt die Erinnerung im öffentlichen Diskurs neue Begriffe: Schande, Scham und Schuld. Die Geschichten und Bilder, die damals öffentlich gemacht wurden, waren unerträglich. Man, wir, ich schämte mich, dass derart unvorstellbare Grausamkeiten von Deutschen geplant und ausgeführt wurden. Und: Ewig gestrige gab es damals auch schon genug. In meinem 2. Schuleinsatz als Lehrerin hatte ich einen Kollegen, einen Gymnasiallehrer und ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der die Shoa leugnete. Er war davon überzeugt, dass alles nur Fake war – inklusive Ausschwitz.
Langsam entwickelte sich nach und nach die jetzige Form der Erinnerungsarbeit. Es wurde begonnen, diesen Zivilisationsbruch aufzuarbeiten. Daten und Fakten wurden zusammengetragen, gesichtet, öffentlich gemacht, Zusammenhänge hergestellt, wissenschaftlich aufgearbeitet. Die Gedenkstätten arbeiteten dieses Wissen pädagogisch auf, es entstanden Mahnmale wider des Vergessens. Wenn man eines dieser sogenannten deutschen Leitkultur zuschreiben könnte, dann wären es die beiden Worte: „Nie wieder.“ Dies war gesellschaftlicher Konsens.
Die Aufarbeitung der NS-Zeit bringt uns sogar internationale Anerkennung. Wir haben Rechenschaft über unsere eigene Geschichte abgelegt und Verantwortung für die historischen Verbrechen übernommen. Wir waren in unserer Erinnerungsarbeit aber nicht allein. Wir hatten und haben immer noch wunderbare Menschen, die uns in dieser Arbeit begleiteten und beiseite standen. Es sind die Überlebenden der von den Nazis geschaffenen Konzentrationslagern.
Es ist von unschätzbarem Wert für uns, dass sich Menschen, denen unsere Väter und Großväter unvorstellbares Leid zugefügt haben, bereiterklären, diese und ihre Geschichte zu erzählen und zu bearbeiten. Was ist das für eine Erfahrung, nein Erlebnis – für jeden jungen wie alten Deutschen, wenn er Dich, Max Volpert erleben darf. Einen Menschen, dem trotz dieser wahnsinnigen Kindheitserlebnisse die Lebensfreude aus jeder Pore seines Körpers strahlt, der sein Leben in die Hand genommen hat, eine Familie gegründet hat, sich eine Existenz aufgebaut hat und jetzt als 90-Jähriger immer noch mit Zuversicht, Mitgefühl und Freude durchs Leben geht! Welch ein Glück für alle, Dich zu kennen Max! Wir sind Dir und allen anderen Überlebenden für Eure Versöhnungsbereitschaft zu großem Dank verpflichtet!
Ihr seid nicht schuld an dem, was war,aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.
Sie kennen diese Worte, sie stammen von Max Mannheimer. Sie sind für unsere Generation Befreiung und Auftragzugleich. Auftrag in schwierigen Zeiten. Schwierig auch deshalb, weil wir immer weniger die Überlebenden an unserer Seite haben. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir eine Gedenkarbeit- und Kultur schaffen, die auch ohne Euch Zeitzeugen den Menschen das „Nie wieder“ quasi in ihre DNA schreibt.
An diesem Punkt stehen wir. Jetzt gilt es, den nächsten Schritt in der Gedenkkultur zu gehen, den ich eingangs erwähnt habe:
In eine zukünftige Gedenkarbeit, die die Erinnerung wachhält und gleichzeitig wachsam ist. Die uns aufzeigt, welche Mechanismen zu Ausgrenzung, Rassismus und Faschismus führen. Das mussihr gesellschaftlicher Auftrag sein.
Die Zeiten dafür sind nicht einfach. Die Gesellschaft rückt nach rechts, es finden zum Teil unerträgliche Relativierungen statt, von manchen wird sogar der gesellschaftliche Konsens eines „Nie wieder“ aufgekündigt. Jeder von uns hat schon einmal den Satz in all seinen Varianten gehört „es reicht doch irgendwann mal“.
„Nein, es reicht nicht“, das muss den Menschen auf allen Kanälen entgegengebracht werden. Wenn eine Untersuchung feststellt, dass in Europa nur noch rund 30% der jungen Erwachsenen mit dem Begriff „Auschwitz“ etwas anfangen können, dann ist für mich ganz klar: es reicht nicht. Ganz im Gegenteil: wir müssen unsere zukünftige Gedenkarbeit verbessern, dass das Wissen um die Shoa viel mehr Menschen erreicht.
Den historischen Orten kommt hier in der Zukunft eine besondere Rolle zu. Denn es geht nicht nur die reine Wissensvermittlung, sondern auch um empathisches Mitgefühl. Wenn wir in absehbarer Zeit keine Überlebenden mehr an unserer Seite haben, müssen wir die authentischen Orte und die Gedenkstätte so gestalten, dass hier eine informative, wissenschaftlich fundierte, pädagogisch- begleitende Arbeit stattfindet, die den Menschen Wissen und Empathie für ein „Nie wieder“ mitgibt.
Wir müssen das ehrenamtliche Engagement mehr unterstützen und auch einen kritischen Blick auf die momentane Schulbildung in diesem Thema werfen.
Darin sehe ich unseren zukünftigen Auftrag.
Denn, wir sind verantwortlich dafür, dass es nicht wieder passiert.